Kettenglied 7:
Die US-Leistungsbilanz folgt der Handelsbilanz

(mit aktualisierten Grafiken, Stand April 2006)                                           zurück zur Startseite

 

Das Negativbild aus der Handelsbilanz ändert sich auch nicht durch einen Blick in die Leistungsbilanz.

 

(1) Welche Bedeutung hat die Leistungsbilanz?

Zunächst zur Abgrenzung dieser Bilanz:
Die Leistungsbilanz ist ein Mixtum compositum, d. h. sie enthält eine bunte Mischung von operativen wie nicht-operativen Positionen.

Operativ gesehen ist sie ein umfassenderes Protokoll der Veränderung der Wettbewerbsfähigkeit eines Landes als die Handelsbilanz. Die Handelsbilanz nämlich umfasst nur die Ex- und Importe von Waren, gewiss der wichtigste Posten für die Beurteilung der Wettbewerbsfähigkeit. Die Leistungsbilanz übernimmt diese Position, stellt aber zusätzlich daneben die Ex- und Importe von Dienstleistungen ein - ein Posten, der für die Beurteilung der Wettbewerbsfähigkeit immer weiter an Bedeutung gewinnt.

Nicht-operativ gesehen enthält die Leistungsbilanz aber auch gewichtige Positionen, die mit der Wettbewerbsfähigkeit zunächst und direkt nicht zu tun haben. Dies sind die "Laufenden Übertragungen". D. h. dies sind Buchungen, denen keine ökonomische Gegenleistung von Ausländern gegenüber steht. Das sind z. B. Entwicklungshilfe, Reparationen, Entschädigungsleistungen an Zwangsarbeiter, Schenkungen Privater an Ausländer usw. (bisweilen wird sie deshalb als Bilanz der unentgeltlichen Leistungen oder, plastischer noch, als Schenkungsbilanz bezeichnet).

Wir werden aber gleich sehen, dass dieses Mixtum gleichwohl stringente Aussagen über die außenwirtschaftliche Position eines Landes hergibt. Der Leistungsbilanz als Scharnier zwischen US-Wirtschaft und dem Rest der Welt kommt ein zentraler Stellenwert zu.

Zunächst aber zu den Fakten.

 

(2)   US-Leistungsbilanz  im Minus, europäische in schwarzen Zahlen

Die Entwicklung des Defizits in der Leistungsbilanz begann in den achtziger Jahren. Der Grund für die Verzögerung gegenüber der Handelsbilanz liegt bei der Entwicklung der Dienstleistungen. Die Ex- und Importe an Dienstleistungen konnten jedoch das strukturelle Defizit der Handelsbilanz selbst nicht ändern. Die Kurve in der Leistungsbilanz weist vielmehr einen ähnlich alarmierenden Trend auf. Das Defizit hat inzwischen ein Rekordniveau erreicht. In 2002 hat ein Anstieg von 28 % das Leistungsbilanzdefizit über die 500 Mrd.-Dollar-Grenze gedrückt: 2001 = 393,4 Mrd. $; 2002 = 503,4 Mrd. $).

>> Grafik 7-1:   (aktualisiert im April 2006)
Allzeittief in der US-Leistungsbilanz

Die europäische Leistungsbilanz hingegen hat in 2002 erneut die schwarze Zone erreicht. Auch wenn in Europa wenig bekannt, auch auf diesem Feld kann die USA nicht mithalten.

Tabelle 7-2:
EU und US Leistungsbilanz  -  ein Vergleich

in Mrd. Dollar

USA Euro-Land
1997 -128,4 70,4
1998 -203,8 35,8
1999 -292,9 -19,5
2000 -410,3 -55,3
2001 -393,4 -2,1
2002 -503,4 +58,7
Hinweis:   In den International Accounts des Dept. of Commerce werden alljährlich statistische  Korrekturen vorgenommen, die bisweilen von erheblichem Ausmaß sind.

Quelle: Europäische Zentralbank; Dept. of Commerce; eig. Berechnungen                  MacroAnalyst

>> Grafik 7-2 (aktualisiert im April 2006)
Auch in der Leistungsbilanz:  USA hat Defizite, Europa Überschüsse

Welche strategischen Erkenntnisse lassen sich aus diesen Ergebnissen der Leistungsbilanz ableiten?


Zwei Sphären wollen wir in den Vordergrund rücken: Die Einkommenssphäre und die Vermögenssphäre.

 

(3) Einkommenssphäre: Die Konsequenzen für den Wirtschaftskreislauf

Die drastischen Defizite in der amerikanischen Leistungsbilanz haben Folgen für den ökonomischen Kreislauf - positive und negative:

Positiver Effekt:
Der Council of Economic Advisers (ein Sachverständigengremium der Administration) hat die positiven Effekte in seinem Report an den Präsidenten (1998) so beschrieben:
"In einer dem Ausland gegenüber geschlossenen Volkswirtschaft müssen alle inländischen Investitionen durch inländisches Sparen finanziert werden. Einer der grundlegenden Nutzen der zunehmenden Globalisierung von Handels- und Kapitalmärkten besteht darin, dass die Möglichkeit, Gelder auf ausländischen Märkten zu leihen und zu verleihen, den Zwang aufhebt, das nationale Sparen und Investieren in jedem Jahr auszubalancieren. Wenn  es im Inland attraktive Investitionschancen gibt, aber die nationale Ersparnis nicht ausreicht, sie zu finanzieren, dann können ausländische Investoren einspringen. Der daraus resultierende Überschuss der Gesamtinvestitionen über das einheimische Sparen manifestiert sich in einem Leistungsbilanzdefizit" (S. 77 - 78). Eine präzise Analyse.

Aber der Council fährt so fort: "Dieser Aspekt der Globalisierung hat die Vereinigten Staaten begünstigt. Hat er doch der Wirtschaft 'recently' erlaubt, trotz der fortdauernden niedrigen nationalen Spartätigkeit ein hohes Maß an Investitionen in Kapitalausstattung zu finanzieren. Das hohe Wachstum an Investitionen in Kapitalgüter 'over the past few years' war entscheidend, jene Art von Flaschenhälsen zu verhindern, die so oft an vergleichbaren Punkten der vergangenen Konjunkturzyklen Preissteigerungen ausgelöst haben".

Diese Evaluation des Councils verknüpft diesen ersten, positiven Effekt also zunächst mit kurz- bis mittelfristigen Dimensionen.
Nun haben wir jedoch den Statistiken gerade ein ganz anderes Bild entnommen: Höhere Wachstumsraten der Investitionen in den USA sind gerade nicht 'recently and over the past few years' von ausländischen Investoren finanziert worden. Wie wir in der Grafik zur Leistungsbilanz gesehen haben, sind die USA von dieser Kapitalquelle nun schon seit zwei Jahrzehnten abhängig. Im Falle der USA ist dieser Effekt nicht mittelfristiger, konjunkturbezogener Art, sondern struktureller und langfristiger Natur.

Diese Evaluation des Councils verknüpft diesen ersten, positiven Effekt darüber hinaus mit Investitionstätigkeit. Makroökonomisch und im Abgleich mit Europa haben wir in den Kettengliedern 2 bis 4 jedoch gesehen, dass die USA den Konsum, und nicht die Investitionen übergewichten. Dies macht einen wesentlichen Unterschied hinsichtlich der qualitativen Struktur dieser Außenfinanzierung aus:
Das Leistungsbilanzdefizit besagt dynamisch gesehen, dass das konsumgetriebene Wachstum der USA nicht aus der inländischen Produktion, nicht aus dem US-Sozialprodukt, nicht aus den Leistungen der operativen Wirtschaft allein finanziert werden kann. Übermäßige Importe müssen beispringen. Diese wiederum können nicht aus zuvor exportierten Waren und Dienstleistungen gegenfinanziert werden. Das Leistungsbilanzdefizit muss vielmehr durch einen Kapitalimport aus dem Rest der Welt ausgeglichen werden.

Negativer Effekt:
Diesen positiven stehen negative Effekte gegenüber. Der Council of Economic Advisers hat diese auch gesehen. Präzise analysiert er auch hier:
"Wenn man das nationale Investitionsvolumen über lange Perioden hinweg oberhalb des nationalen Sparens fährt, dann hat dies seinen Preis: Steigende Verschuldung gegenüber ausländischen Investoren. Langfristig bedeutet diese steigende Außenverschuldung, dass ein Teil des zusätzlichen Volkseinkommens, das mit diesen 'Über'-Investitionen generiert wird, benötigt werden wird, um dem ausländischen Kapitalgeber seinen Zins zu zahlen".

Dies unterstreicht die simple Tatsache, dass der Zugang zu ausländischem Kapital nicht umsonst zu haben ist. Jeder Investor verlangt eine Verzinsung seines eingeschossenen Kapitals. Es macht keinerlei Unterschied, ob er in einheimische oder internationale Projekte investiert, ob er Staatsanleihen oder Aktien vorzieht. Jeder einzelne Beitrag zur Finanzierung der Gesamtinvestitionen der USA hat seinen Preis. Das Leistungsbilanzdefizit verwandelt sich somit in eine Belastung des zukünftigen Volkseinkommens der USA.
Um die Belastungsrelation festzuhalten: 1999 machte das Leistungsbilanzdefizit 3,7 % des GDP aus. 2003 wird es bei ca. 5 % liegen.

 

Kasten:

Auswirkungen des Leistungsbilanzdefizits
Anwendungsbeispiel: Finanzierung der Rentenversicherung

 

 

Der Langfristeffekt auf den volkswirtschaftlichen Kreislauf lässt sich ganz handfest an einem anderen Beispiel deutlich machen:

Demographische Effekte werden sowohl in den USA als in Deutschland die Rentenversicherungssysteme langfristig belasten. In beiden Ländern dominiert das Umlageverfahren.

Wenn man sich noch einmal die substantiellen Differenzen bei den Sparquoten, insbesondere bei den personellen vor Augen hält, dann wird dieses Problem - ceteris paribus - die US-Rentner schon von daher ungleich härter treffen als die deutschen.

Die zusätzliche Lücke in der Leistungsbilanz wird diese Last noch größer machen.

Der Council of Economic Advisers formulierte seine Warnung so: 
"Im Lichte der Herausforderungen, denen unsere Wirtschaft über die nächsten 30 bis 40 Jahre wegen der Verrentung der Baby-Boom-Generation gegenübersteht, und angesichts der Tatsache, dass Länder, die uns gegenwärtig finanzieren, ähnlichen demographischen Herausforderungen gegenüberstehen, 'there remains a strong argument that it would be better to finance our high investment rates more through higher national saving and less by borrowing abroad" (1998, S. 78).

 

 

Der zweiten Sphäre, der Vermögenssphäre kommt eine ganz besondere strategische Bedeutung zu. Hier geht es um die Änderung der Machtposition. Wir wollen ihr im letzten Kettenglied nachgehen:

>Kettenglied 8Leistungsbilanz misst Änderung des Auslandsvermögens